Ein Film von Xiaoxue Li
Dieser Dokumentarfilm wurde aus den Erinnerungen von 32 Bewohnern der Region Land Hadeln zusammengestellt. Diese Erinnerungen verweben sich miteinander und erzählen von der Vergangenheit und Gegenwart dieser Region, wobei sie das einzigartige Landschaftsbild dieser Gegend skizzieren.
Einige von ihnen haben hier ihre Vorfahren, andere sind zugezogen. Die Erzählungen behandeln verschiedene Aspekte wie die Geschichte der Region, Landwirtschaft, lokale Bräuche, Naturlandschaften und den Alltag.

Filmlänge: 113 min
Genres: Dokumentarfilm
Sprache: Deutsch
Erinnerungen an „Ins Weite“-Filmaufnahmen
Für eine chinesische Filmemacherin, die neu in Deutschland ankam und beabsichtigte in einem ländlichen Gebiet einen Dokumentarfilm zu drehen, war nichts einfach. Besonders wenn es darum ging, die Erinnerungen von mehr als 30 Personen aufzunehmen.
Im Rückblick betrachtet nahm dieser Dokumentarfilm einen recht umständlichen Anfang. Zuerst schrieb ich einen zwei Seiten langen Brief an die Einwohnerinnen und Einwohner vor Ort, um sie nach ihren Erinnerungen zu fragen. Danach bat ich die Bürgermeister der fünf an dem Projekt teilnehmenden Dörfer, diesen Brief bestmöglich an die Dorfbewohner zu verteilen und bei ihnen für die Teilnahme zu werben.
Meine Vorgehensweise wurde von anderen professionellen Filmemachern und Freunden stark in Frage gestellt. Sie waren sich der zurückhaltenden Art der Norddeutschen bewusst und fürchteten, dass es in der kurzen Zeit nicht einfach werden würde, sie dazu zu bewegen sich zu öffnen. Aber als alle erfuhren, dass ich auch jenen, die nicht gut darin waren, sich sprachlich auszudrücken oder an örtlichen Aktivitäten teilzunehmen, persönliche Ausdrucksmöglichkeiten geben wollte, unterstützten sie meinen Ansatz.
Mit Hilfe der fünf Bürgermeister verteilten wir insgesamt 1800 Briefe. Aber die Antworten, die wir erhielten, beliefen sich auf … nur 21 Briefe. Dies entspricht etwa ein Prozent. Obwohl ich später durch Empfehlungen der Bürgermeister und Freunde weitere Interviewpartner fand, waren diese ersten 21 freiwilligen Briefe die Grundlage dafür, dass dieser Dokumentarfilm einen weiten Blickwinkel einnehmen konnte. Daher passt der Name ‘Ins Weite’ auch gut zum Entstehungsprozess dieses Films. Von diesen 21 Briefen mussten wir leider weitere drei Briefe aufgeben, da es schwierig war, in der begrenzten Zeit weiteren Kontakt mit den Absendern herzustellen. Die Erinnerungen der verbleibenden 18 Personen aus diesen Briefen, zusammen mit 14 anderen, die wir anderswo fanden, wurden gemeinsam zu diesem Film. Zwei weitere Personen nahmen an Interviews teil, aber aufgrund ihrer Abwesenheit später, konnten wir ihre Szenen nicht für die endgültige Version aufnehmen.
In diesen knapp drei Monaten von März bis Juni 2023 traf ich mich durchschnittlich dreimal mit diesen 32 Personen, um den Prozess von ersten Hausbesuchen über Interviews bis hin zu den Dreharbeiten zu durchlaufen. Ich denke, jeder von ihnen wird sich an unsere unbeholfenen Besuche erinnern sowie an das improvisierte Studio in meinem Haus für die Interviews. Ein gleißendes Licht strahlte die Gesichter der Interviewten an. Auf der dunklen Seite gegenüber saß eine Person mit von der Kamera verdecktem Gesicht. Entweder Ria oder ich oder später Kerstin. Unabhängig davon sagte diese Person gelegentlich: „Entschuldigung, könntest du das gerade Gesagte wiederholen? Ein Auto ist gerade vorbeigefahren.“ Im Gegensatz zu den etwas bedrückenden Interviews in diesem improvisierten Raum, ähnlich einer polizeilichen Befragung, waren die Außenaufnahmen, die mein Mann Christian und ich später machten, farbenfroh und lebendig. Aber auch hier hörte man mich oft sagen: „Bitte warten Sie einen Moment, bewegen Sie sich nicht, ich muss kurz scharf stellen.“ Oder „Könnten Sie bitte noch einmal in die Sonne schauen und die vorherige Geste wiederholen?“ Das hat vielleicht manchmal genervt.
Ich verstehe bis heute nicht, wie sie all meine Anforderungen ertragen konnten. Sie hatten sich entschieden, einer Ausländerin wie mir ihr Herz zu öffnen und geduldig ihre Gedanken zu wiederholen, bis ich sie verstanden hatte. Das war für mich wirklich ein Wunder. So sehr, dass mir während des Schneidens vor meinem Computer öfter die Tränen kamen, weil ich das Gefühl hatte, mich mit jedem von ihnen auf einer Ebene zu verbinden. Sie haben mir gezeigt, dass Kommunikation selbst bei sprachlichen Barrieren möglich ist und wir uns auf einer tiefen spirituellen Ebene verbinden können.
Bevor ich diesen Film aufnahm, habe ich eine Erfahrung gemacht, die einer Art rassistischer Diskriminierung nahekam. Trotz meiner Versuche mit der anderen Person zu kommunizieren, lehnte diese mich grob ab. Dies hat mich damals sehr verletzt und mir fast jegliche Motivation zur zwischenmenschlichen Kommunikation genommen, da ich niemandem mehr vertraute. Wäre nicht dieser Dokumentarfilm gewesen, weiß ich nicht, wie lange ich in diesem introvertierten Zustand geblieben wäre. Interessanterweise traf ich später auf eine weitere Person, die mich aufgrund eines Missverständnisses beleidigte. Als ich versuchte zu kommunizieren, wurde ich wieder abgelehnt. Aber dieses Mal entschied ich mich schließlich dafür, dieser Person zu vergeben und ihr alles Gute zu wünschen, denn ich wusste dank meiner Erfahrungen mit den Menschen, die ich gefilmt hatte, dass diese Ablehnung eine Ausnahme und nicht die Regel war. Ich sagte mir, dass diese Menschen vielleicht selbst einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben in ihrem Leben und deshalb so handeln.
Nach diesen Erfahrungen bin ich dankbar für die Personen in meinem Dokumentarfilm, die auf philosophischer und spiritueller Ebene ein Licht in meine Seele brachten. Ich hoffe, dass meine Zuschauer ebenfalls dieses Licht spüren und erkennen können, dass die Menschen unabhängig von kulturellen, ethnischen, altersbedingten, beruflichen oder charakterlichen Unterschieden immer auf einer tieferen emotionalen und spirituellen Ebene miteinander verbunden sind. Egal ob es sich um Familienmitglieder, Nachbarn, Kollegen oder Ausländer handelt, um isolierte oder am Rande der Gesellschaft stehende Menschen, um Menschen mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen oder sexuellen Orientierungen … Solange der Film dazu beitragen kann, dass Menschen bereit sind, unbekannten oder bisher unverstandenen Menschen wieder eine Tür zu öffnen, hat er sein Ziel für mich erreicht.
Xiaoxue Li, Kehdingbruch , 07.12.2023
